Das Schicksal der Rosa Piotokowsky

  

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Zwischen 1933 und 1942 lebten in Schwäbisch Hall, Braunsbach und Ammertsweiler 108 jüdische Frauen und Mädchen.

36 Frauen davon wurden Opfer der Deportationen, die ab Dezember 1941 die württembergischen Juden zu Sklavenarbeit und Ermordung in die Konzentrationslager nach Riga, Izbica, Theresienstadt und Auschwitz brachten. Keine der Deportierten hat überlebt; nur von wenigen ist das Todesdatum bekannt, alle anderen gelten als „verschollen“.

Stellvertretend für die ermordeten jüdischen Frauen soll hier das Schicksal der staatenlosen Jüdin Rosa Piotokowsky stehen.

 

Ø     Lebenslauf

 

Geboren am 26. November 1908 in Mannheim, wurde Rosa bereits als kleines Kind von ihren Eltern verlassen. Der Vater Abraham Piotokowsky lebte bis 1908 in Lodz, danach verliert sich seine Spur. Die Mutter Selma, geborene Weißberg, wohnte bis 1914 in Mannheim, seither gilt auch sie als verschollen.

Im Jahre 1910 nahmen die Eheleute Johann und Gottliebin Karle, Rosa als Pflegekind im Alter von 2 ½  Jahren bei sich in Eppelheim auf. Dort ging sie zur Schule und besuchte bis zu ihrer Schulentlassung den evangelischen Religionsunterricht. Als 14-jähriges Mädchen wurde sie vor ihrer Konfirmation getauft und hielt bis zu ihrem Tod am evangelischen Glauben fest.

 

 

Ø      Bild: Konfirmation. Rosa ist nicht abgebildet, da sie selbst das Bild aufnahm. Zu sehen sind aber ihre Pflegeeltern (untere Reihe, rechts und links außen).                               

 

 

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·         Von Mai 1924 bis Februar 1940 arbeitete Rosa bei der Firma M+F Liebhold in Heidelberg-Pfaffengrund als Zigarrenmacherin. Sie lebte damals noch bei ihren Pflegeeltern in Eppelheim, Hauptstraße 29.

·         Am 29. Februar 1940 zog sie mit ihren Pflegeeltern von Eppelheim nach Ammertsweiler, Gemeinde Mainhardt. Die Familie bewohnte dort das obere Stockwerk des ehemaligen Ausdinghauses (= ein extra für die Großeltern gebautes Haus, wenn sie im „Rentenalter“ waren und das eigentliche Bauernhaus vom ältesten Sohn und dessen Familie bezogen wurde) neben dem Gasthof Ochsen.

 

v      Zeitzeugenbericht von Frau W. aus Ammertsweiler:

„Frau Karle stammte aus unserem Dorf. (...) Fast jedes Jahr kam sie zu Besuch. Meine Eltern waren mit Karles befreundet, auch die „Rosa Pio“, so rief man sie in Ammertsweiler, kam oft zu uns ins Haus. Sie war eine warmherzige, hübsche junge Frau, die jeder gern mochte. Zu ihren Pflegeeltern hatte sie ein liebevolles Verhältnis.

Rosa war mit meiner Schwester befreundet. Sie schenkte ihr eine Bluse, die sie selbst bestickt hatte. Diese Bluse habe ich bis heute aufbewahrt und in Ehren gehalten.“

 

·         Am 2. November 1940 zog Rosa nach Herrlingen, Kreis Ulm und arbeitete dort in einem jüdischen Altersheim. Dort freundete sie sich mit Samuel Hallheimer an, der als Bäcker im selben Altersheim eine Anstellung gefunden hatte.

·         Im März 1941 wurde sie von ihrer Pflegemutter nach Ammertsweiler zurückgerufen, weil sich die Krankheit des Pflegevaters verschlimmert hatte.

·         Am 13. Juni 1941 trat Rosa eine neue Arbeitsstelle als Hilfsarbeiterin in der Faßfabrik in Hessental an und war dort bis 20. August 1941 beschäftigt.

 

 

Ø      Oberes Bild: Ortsansicht von Ammertsweiler

Ø      Unteres Bild: Gasthof „Ochsen“ in Ammertsweiler, daneben (links am Rand) das Wohnhaus Rosas und ihrer Pflegeeltern

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Ø     Wichtige Daten aus Rosas Akte (vom 20.06.1934 bis 18.11.1941)

27.02.1934            Erster Antrag Rosas auf Aufenthaltserlaubnis in Deutschland wird abgelehnt.

20.06.1934                Antrag Rosas beim polnischen Generalkonsulat in Monachjum auf polnische Staatsangehörigkeit wird abgelehnt. Folge: Sie gilt nun als staatenlos.

01.01.1939            Rosa muss ab diesem Datum den diskriminierenden Beinamen „Sara“ tragen. Grund waren die Rassengesetze des 3. Reiches, wonach alle männlichen Juden „Israel“ und alle Jüdinnen „Sara“ als Zweitnamen annehmen mussten. Die Namen dienten sozusagen als „Kennzeichnung“ der Juden.

17.11.1939            Das Ausländeramt in Heidelberg beschließt dass Rosa staatenlos mit früherer russischer Staatsangehörigkeit bleibt.

14.05.1940          Ein Antrag Rosas mit der Bitte um Überprüfung ihrer

jüdischen Abstammung wird vom Landrat von Schwäbisch Hall abgelehnt. Rosa hatte den Antrag in der Hoffnung eingereicht, einen Nachweis zu bekommen, der sie als Nichtjüdin auswies.

12.05.1941            Rosa wird vom Ausländeramt die Erlaubnis erteilt, sich bis zum 1. Februar 1942 in Deutschland aufzuhalten.

23.06.1941            Rosa wird vom Bürgermeister in Ammertsweiler aufgefordert, sich ab sofort jeden Tag persönlich bei ihm zu melden. Grund ist der deutsche Überfall auf die Sowjetunion vom 22. Juni 1941. Rosa galt nun zusätzlich noch als ehemalige Angehörige eines „Feindstaates“, obwohl sie Deutschland seit ihrer Geburt nicht verlassen hatte.

 

4 von 5 Anträgen, die Rosa im Zeitraum vom 27.02.1934 bis zum 29.04.1941 stellte, wurden abgelehnt. Nur der Antrag auf Aufenthaltsverlängerung vom 29.04.1941 wird genehmigt. Danach hätte sie bis zum 1. Februar 1942 in Deutschland bleiben dürfen.

Was damals durch die Gestapo allerdings schon lange geplant war, konnte Rosa noch nicht ahnen: Sie sollte schon im November 1941 zusammen mit 999 anderen Juden deportiert werden.

  

 

Ø     Rosas Schicksal/ Über die Deportation

  

Rosa war, wie schon angemerkt, evangelische Christin, was ihre Deportation jedoch nicht verhindern konnte. Als „Rassenjüdin“ fiel sie unter den Urteilsspruch der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik.

 

Über den Abschied von Rosa aus Ammertsweiler gibt es zwei verschiedene Versionen:

·         Die eine beruht auf der Aussage der Diakonisse M.:

„Als Rosa dann fort musste, habe ich sie begleitet. Wir luden ihr Gepäck auf ein Leiterwägele, Rosa trug auch noch eine Tasche und wir gingen zu Fuß nach Mainhardt, wo Rosa dann in den Postbus einstieg. Sie war zuversichtlich, ich traurig, weil sie nun weg musste und winkte ihr zum Abschied.“

Die Diakonisse beendet ihren Bericht mit den Worten: „Alle haben sie gern gehabt aber mit dem Judenstern hat sie fortmüssen.“

·         Die offizielle Version lautet folgendermaßen:

Der Amtsbote K. brachte Rosa am 28.11.1941 auf den Bahnhof in Schwäbisch Hall. Sie bekam dort ein Quartier zugewiesen und wurde dem Transportführer übergeben.

Das Landratsamt bescheinigte dass „die staatenlose ehemalige russische Staatsangehörige Rosa Sara Piotokowsky“ am 1.Dezember nach dem Osten – Sammelstelle Riga – evakuiert worden sei. Sie erhielt die Transportnummer 413.

 

 

Ø     Zur Deportation allgemein

  

Von den 1000 Juden, die am 1. Dezember 1941 nach Riga deportiert wurden, haben 28 überlebt. Über die Umstände des Transportes berichtete Margot Weinheimer, eine der Überlebenden

„Die Leute wurden in Stuttgart auf dem Killesberg gesammelt. Wir blieben dort drei Tage bis zum 30. November ohne irgendwelche Liege- oder Schlafgelegenheit. (...) In der Nacht zum 1. Dezember wurden wir in Personenwagen zusammengepfercht in einen Transport, der nach 4 Tagen in Skirotawa bei Riga ankam. Verpflegung: 2 Rote Kreuz Pakete, ein Laib Brot, Käse und Wurst. Spätere Transporte gingen in überfüllten Viehwagen ohne Verpflegung vonstatten.“

Am 4. Dezember 1941 kam der Transport aus Schwäbisch Hall auf dem Gut Jungfernhof bei Riga an. Insgesamt waren dort 4.500 Menschen untergebracht, die Männer in einer großen Wellblechscheune von deren Dach nur noch Reste vorhanden waren und deren Tore man nicht schließen konnte, die Frauen in baufälligen Scheunen und Ställen, unter ihnen auch Rosa.

Verpflegung gab es kaum und die Einrichtung dieser Baracken bestand aus Holzgestellen mit Schlafkojen, 8-10 Regale übereinander. Sie waren so eng dass man sich nur liegend bewegen konnte.

Der Winter im Jahre 1941 war darüber hinaus ein sehr harter, so dass es innerhalb der Scheune manchmal Temperaturen zwischen minus 30 und minus 40 Grad gab. Viele erfroren in den kalten Nächten. Ein besonderes Arbeitskommando musste die Toten aus den Kojen herausziehen und abseits der Scheune auf dem Hof stapeln.

 

Am 26.03.1942 fand dann die sogenannte „große Aktion“ statt. Bei dieser wurden alle Kinder bis 14 Jahre und alle Leute über 50 Jahre ausgesucht und verschwanden. Den Zurückgebliebenen erzählte die SS, man hätte sie zu einer Konservenfabrik nach Dünamünde gebracht – in Wirklichkeit wurden sie in Wälder geführt und dort erschossen.

 

 

 

Bild: Massengrab in einem KZ bei Riga

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v      Von den acht Frauen und vier Männern, die von Schwäbisch Hall

nach Riga deportiert wurden, hat niemand überlebt. Auch Samuel Hallheimer, mit dem Rosa befreundet war, teilte diese Schicksal. Er wurde von Ulm aus mit demselben Transport nach Riga verschickt.

 

v      Bei der Vorbereitung und Durchführung von Rosas Deportation war

nicht nur die Gestapo in Stuttgart beteiligt, sondern unter anderem auch das Bürgermeisteramt Ammertsweiler. Dieses handelte zwar nach den Richtlinien des NS-Regimes und nicht aus eigenem Antrieb, aber trotzdem ist die Reibungslosigkeit dieser „Aktion“ bestürzend. Es keinen noch so kleinen Versuch die Bürgerin der eigenen Gemeinde irgendwie vor dem drohenden Schicksal zu bewahren. Die Judendeportation funktionierte wie ein ganz normaler „Verwaltungsvorgang“ .

 

v      Rosa Piotokowsky wurde im Jahre 1951 vom Amtsgericht in

Heidelberg mit Todesdatum 8. Mai für tot erklärt.

 

  

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KZ-Gedenkstätten bei Riga

Ø      Linkes Bild: Lettische Aufschrift = „Hinter diesen Mauern weint die Erde“

Ø      Rechtes Bild: Skulptur, welche die Behandlung der KZ-Häftlinge durch das Hitler-Regime verdeutlichen soll.

 

 

Quellen

Aus: Frauenleben in Schwäbisch Hall 1933-1945: Realitäten und Ideologien;

(Begleitbuch zur Ausstellung des Hällisch-Fränkischen Museums Schwäbisch Hall.../ hrsg. von Folker Förtsch und Andreas Maisch.

Schwäbisch Hall: Stadtarchiv 1997)

 

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